Queere und feministische Forderungen nach Pluralisierung und Flexibilisierung von Identitäten, Lebensformen, Biographien, Familien- und Erwerbsmodellen sind längst integraler Bestandteil neoliberaler Rhetorik und haben im ‚Gendermainstreaming‘ und im ‚Diversity-Management‘ institutionalisierte Formen angenommen. Zugleich reproduzieren und legitimieren sie oft nur in neuen Formen eben jene geschlechterspezifischen Segregations- und Diskriminierungsprinzipien, die sie zu korrigieren versprechen.
Solche aktuellen Widersprüchlichkeiten sind ein Ausdruck generell paradoxer Wirkungen der Funktionslogiken und Dynamiken kapitalistischer Gesellschaften auf die Formen der Geschlechterverhältnisse: Einerseits nutzt der Kapitalismus überkommene Muster der Zweigeschlechtlichkeit und patriarchaler Machtverhältnisse, um die ‚toten Kosten’ der gesellschaftlichen Reproduktion auf weibliche Gratisarbeit abzuwälzen. Andererseits diente gerade auch weibliche Lohnarbeitskraft seit dem 18. Jahrhundert zunehmend als freie und gleiche Ressource der kapitalistischen Wert(ab)schöpfung, die zudem immer mehr vormals subsistenz- oder hauswirtschaftlich organisierte Tätigkeitsfelder durch Waren und Dienstleistungen ersetzt. Beides impliziert auch eine Befreiung aus tradierten Mustern geschlechtlicher Arbeitsteilung, unterminiert die an sie geknüpften Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse und erlaubt es, einzelne Forderungen emanzipatorischer Bewegungen zu integrieren.
Der Vortrag möchte vor diesem Hintergrund an konkreten Beispielen einen Überblick über die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse in der kapitalistischen Moderne seit dem 19. Jahrhundert geben und dabei auch einen Beitrag für die Bestimmung der Möglichkeitsräume und Grenzen emanzipatorischer Kämpfe leisten.
mit: Dr. Tino Heim (Institut für Soziologie, TU Dresden)
Der Eintritt ist frei.